Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit Biostoffen

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Art der Gefährdungen und ihre Wirkungen

Vorkommen im Lebens- und Arbeitsbereich des Menschen

Mikroorganismen und andere Biostoffe können sich bei geeigneten Bedingungen - vor allem hinsichtlich Nährstoffen und Temperatur - in Böden, Gewässern und Flüssigkeiten sowie an und in Menschen, an und in Tieren und Pflanzen sowie Produkten vermehren. 

Biostoffe im Arbeitsschutzgesetz und in der Biostoffverordnung

Tätigkeiten mit Biostoffen oder solche bei denen Biostoffe freigesetzt werden, Tätigkeiten also mit erhöhter berufsbedingter Gesundheitsgefährdung durch Biostoffe, fallen in den Rechtsbereich der BioStoffV.
Gemäß §5 ArbSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, die mit der Tätigkeit der Beschäftigten verbundenen Gefährdungen zu ermitteln und geeignete Arbeitsschutzmaßnahmen zu ergreifen. Der Schutz der Beschäftigten vor biologischen Gefährdungen ist dabei ein Aspekt (Abb. 4.1).

Abb. 4.1 Gefährdungen durch Biostoffe als Teil der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG

Grundlegend für die Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen ist die Technische Regel für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) 400. Darüber hinaus gibt es für Schwerpunktbranchen, wie z. B. den Gesundheitsdienst, die Landwirtschaft oder die Abfallwirtschaft branchenspezifische TRBA

Fachkunde

Die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung gemäß BioStoffV erfordert Fachkunde, unter anderem über Arbeitsplatzsituationen und durchgeführte Tätigkeiten, auftretende Gefahren und Schutzmaßnahmen gegenüber der Exposition mit Biostoffen. Diese Fachkunde umfasst eine geeignete Berufsausbildung mittels Ausbildung oder Studium, einschlägige Berufserfahrung und Kompetenz im Arbeitsschutz. Anforderungen an die Fachkunde sind im Einzelnen in der TRBA 200 beschrieben. 

Risikogruppen

Biostoffe werden nach ihrer Infektionsgefahr in vier Risikogruppen (RG) eingestuft. Hauptparameter sind dabei Schwere der Infektionskrankheit, Verbreitungsgefahr, Möglichkeiten der Vorbeugung und Behandlung. Bei Biostoffen der RG1, z. B. Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae) ist es unwahrscheinlich, dass sie beim Menschen eine Krankheit hervorrufen. Biostoffe der RG2 können eine Krankheit beim Menschen hervorrufen und könnten eine Gefahr für Beschäftigte darstellen; eine Verbreitung der Krankheit in der Bevölkerung ist unwahrscheinlich; eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung ist normalerweise möglich (z. B. Vibrio cholerae, und opportunistische Krankheitserreger, z. B. Staphylococcus aureus). Biostoffe der RG3 können eine schwere Krankheit beim Menschen hervorrufen und eine ernste Gefahr für Beschäftigte darstellen, die Gefahr einer Verbreitung in der Bevölkerung kann bestehen, doch ist normalerweise eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung möglich (z. B. SARS-CoV-2, Mycobacterium tuberculosis). Biostoffe der RG4 rufen eine schwere Krankheit beim Menschen hervor und stellen eine ernste Gefahr für Beschäftigte dar; die Gefahr einer Verbreitung in der Bevölkerung ist unter Umständen groß; normalerweise ist eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung nicht möglich (z. B. Ebolavirus).

Für eine tabellarische Übersicht der zzt. etwa 20.000 eingestuften Biostoffe wird auf die TRBA 460, 462, 464, 466 und 468 sowie die Richtlinie 2000/54/EU verwiesen.
Entsprechend BioStoffV werden Biostoffe durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach Beratung durch den Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe (ABAS, § 19 BioStoffV) in eine der vier Risikogruppen eingestuft.

Sensibilisierende und toxische Wirkungen der Biostoffe sind vom Infektionsrisiko unabhängig und werden deshalb bei der Einstufung in Risikogruppen nicht berücksichtigt. Sie können aber für die Gefährdungsbeurteilung relevant sein. Eine Sensibilisierung durch Biostoffe kann die Entwicklung einer Allergie zur Folge haben. Die TRBA 460, 462, 464, 466 und 468 enthalten in den Einstufungslisten organismenspezifische Hinweise auf sensibilisierende, toxische und andere Wirkungen, die neben der Infektiosität beim Menschen auftreten können. Eine Darstellung atemwegssensibilisierender Wirkungen von Biostoffen enthält die TRBA/TRGS 406

Aufnahmewege

Mikroorganismen können auf den Menschen durch Einnahme, Einatmen, Kontakt mit verletzter, aber auch gesunder Haut und Schleimhaut übertragen werden. Neben direktem Kontakt können dabei kontaminierte unbelebte Oberflächen, Gegenstände und Luft, sowie Tierarten, z. B. Stechmücken Überträger sein. Erhöhtes Übertragungsrisiko besteht zudem bei Verletzungsgefahr, z. B. durch Kanülen, spitzes und schneidendes Gerät oder auch Tierbiss.

Berufsbedingte Infektionsrisiken können vor allem beim Umgang mit Mensch und Tier sowie mit Materialien (z. B. medizinische Proben), Produkten (Lebensmitteln) und Abfällen (Fäkalien) von Mensch und Tier auftreten z. B. in Gesundheitswesen und Tierhaltung.
Biostoffe mit sensibilisierender und toxischer Wirkung können darüber hinaus überall dort für den Arbeitsschutz bedeutend werden, wo generell geeignete Bedingungen für mikrobielles Wachstum vorliegen, z. B. in Landwirtschaft und Abfallwirtschaft, aber auch z. B. beim Arbeiten mit Mauerwerk, das Schimmel trägt.

Gefährlichkeit der Biostoffe sowie Dauer und Höhe der Exposition am Arbeitsplatz sind entscheidend für die Auswirkungen auf die Gesundheit Beschäftigter. Die Einschätzung, ob Biostoffe in krankmachender Weise am Arbeitsplatz vorkommen, ergibt sich aus wissenschaftlichen Erkenntnissen, dem Berufskrankheitsgeschehen und Erfahrungswerten (s. 4.2 Gefährdungsbeurteilung). 

Individuelle Verfassung und Psyche

Neben diesen gesundheitsgefährdenden Eigenschaften der Biostoffe spielen auch individuelle Parameter des exponierten Beschäftigten eine Rolle bei der Gefährdung. Dazu zählen die gesundheitliche Verfassung, Alter, Immunsystem und Impfstatus, Vorerkrankungen oder andere individuelle Veranlagungen, die zu einer erhöhten Gefährdung durch Biostoffe führen können. Diese Parameter sind im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge zu berücksichtigen.
Unter psychischer Belastung versteht man die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken. Psychische Belastungsfaktoren (z. B. Arbeitsverdichtung) haben in der Regel negative Auswirkungen. Hierzu zählen vor allem die Erhöhung des Unfallrisikos einerseits und die Schwächung des Immunsystems andererseits. 

Messungen und Grenzwertsetzung schwierig

Für orientierende Messungen von Biostoffen stehen etablierte Verfahren der Mikrobiologie und Molekularbiologie zur Verfügung. Mittels Kultivierung auf Nährböden können koloniebildende Einheiten (KBE) quantifiziert und ggf. als Isolate weiter charakterisiert werden. Mikroskopische Untersuchungen werden i. d. R. durch spezifische Färbungen der Präparate ergänzt, wodurch Zellbestandteile oder Gruppen von Mikroorganismen deutlicher dargestellt werden. Molekularbiologisch ist vor allem die Bestimmung von DNA-Sequenzen zu nennen. Jedes der anwendbaren Verfahren hat spezifische Vorteile, jedoch auch Grenzen. Mittels Kultivie­rung ist es i. d. R. nur möglich, einen Teil der vorhandenen Biostoffe abzubilden, da Ansprüche an Nährstoff- und Umgebungsbedingungen je nach Art von den Bedingungen der Kultivierung abweichen können oder bislang gar nicht - oder nicht für Routineverfahren - im Labor reproduzierbar sind. Mit mikroskopischen Verfahren sind Aussagen zum mengenmäßigen Vorkommen von Biostoffen gut möglich, jedoch können dabei Lebensfähigkeit, Artzusammensetzung und z. B. das Vorkommen bestimmter Krankheitserreger nicht oder nur sehr eingeschränkt bestimmt werden. Molekularbiologische Verfahren zur Mengen- und Artbestimmung können die genannten Methoden sinnvoll ergänzen oder ersetzen. Messungen geben darüber hinaus nur einen Augenblickzustand wieder, was bei vielfach zeitlich und örtlich stark schwankenden Expositionen ein Problem darstellt. Eine Messverpflichtung für Biostoffe gibt es nicht.

Wissenschaftlich begründete, verbindliche Grenzwerte liegen für Tätigkeiten mit Biostoffen nicht vor. Messungen können im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung (TRBA 400) und zur Kontrolle der Wirksamkeit technischer Schutzmaßnahmen (TRBA 405) herangezogen werden. 

Tätigkeiten mit Biostoffen

Tätigkeiten mit Biostoffen sind das Verwenden von Biostoffen, insbesondere das Isolieren, Erzeu­gen und Vermehren, das Ab- und Umfüllen, das Mischen und Abtrennen sowie Transport, Lagerung und Entsorgung.
Tätigkeiten sind ebenso die berufliche Arbeit mit Menschen, Tieren, Pflanzen, Produkten, Gegenständen und Materialien, wenn dabei Biostoffe freigesetzt werden können und Beschäftigte damit in Kontakt kommen können. Für bestimmte Arbeitsplätze wie Laboratorien und Bereiche des Gesundheitswesens (s. Abb. 4.2) sind deshalb sogenannte Schutzstufen 1 (niedrige Gefährdung) bis 4 (höchste Gefährdung) festgelegt, mit schutzstufenspezifischen Schutzmaßnahmen wie z. B. mikrobiologischen Sicherheitswerkbänken der jeweils nötigen Leistungsklasse. Beim beruflichen Umgang mit Biostoffen wird zwischen Tätigkeiten mit oder ohne Schutzstufenzuordnung unterschieden.

Abb. 4.2 Ablaufschema für die Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit Biostoffen gemäß TRBA 400, *Tätigkeiten in Laboratorien, der Versuchstierhaltung, der Biotechnologie und Einrichtungen des Gesundheitsdienstes.

Ableitung von Schutzmaßnahmen

Im Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung sind Schutzmaßnahmen abzuleiten und einzusetzen, durch die die Exposition Beschäftigter mit Biostoffen verhindert bzw. minimiert wird. Schutzmaßnahmen sind nach den Kriterien Erforderlichkeit, Eignung, Angemessenheit und Überprüfbarkeit einzusetzen. Dabei ist die folgende Rangfolge beim Ansatz spezifischer Schutzmaßnahmen zu beachten (STOP-Prinzip): i) Substitution gefährlicher Biostoffe durch harmlose oder weniger gefährliche sogenannte Surrogate, ii) bauliche, technische und organisatorische Schutzmaßnahmen zur Verhinderung oder Minimierung der Exposition am Arbeitsplatz, iii) persönliche Schutzausrüstung (PSA) zur teilweisen oder vollständigen Verhinderung oder Minimierung der Exposition des Beschäftigten.

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